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23.1.2019

„Wir müssen bei den großen Themen liefern“

Interview mit Markus Ferber – der CSU-Politiker gehört seit 1994 dem Europäischen Parlament an. Als Koordinator für die EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung spielt eine 54jährige eine entscheidende Rolle bei allen Finanzfragen. Ferber, Bezirksvorsitzender der CSU Schwaben, kandidiert erneut bei den Europawahlen im Mai.

 

BDV: Herr Ferber, 2019 wird das spannendste Jahr in der Geschichte der Europäischen Union – Brexit, Europawahlen und neues Spitzenpersonal bestimmen die Agenda. Den Anfang machte eine spektakuläre No-Deal-Abstimmung in London. Wie chaotisch oder weniger aufregend wird es, wenn Großbritannien Ende März die EU verlässt?

Ferber: Ob es chaotisch wird, hängt ganz stark von den Ereignissen der kommenden Wochen im Vereinigten Königreich ab. Die Europäische Union hat einen fairen Vorschlag für ein Austrittsabkommen vorgelegt. Die Briten müssen nun noch einmal in sich gehen, ob sie dieses Abkommen akzeptieren wollen oder sich mit einem harten Brexit ins Ungewisse stürzen wollen. Am Ende wird ein harter Brexit beiden Seiten schaden, aber für die Briten wird es richtig wehtun. Ich hoffe, die Entscheidungsträger in Westminister erkennen das noch rechtzeitig, aber derzeit ist die Lage mehr als festgefahren.

BDV: Kann die EU gestärkt aus diesem Einschnitt hervorgehen? Kann Frankfurt dann London als Finanzmetropole ablösen?

Ferber: Die Europäische Union hat in dem Prozess der Austrittsverhandlungen eine beeindruckende Einigkeit gezeigt und sich nicht auseinanderdividieren lassen. Das stimmt mich positiv. Ich glaube auch, dass das politische Chaos und die Verwerfungen, die noch folgen werden, gezeigt haben oder zeigen werden, dass ein EU-Austritt für keinen Mitgliedstaat eine gute Idee ist. Ich gehe fest davon aus, dass die europäischen Finanzmetropolen vom Brexit profitieren werden. Nicht alles wird nach Deutschland wandern, aber Frankfurt ist gut aufgestellt, um von dieser Situation profitieren zu können.

BDV: Durch den Brexit fehlen ca. zehn Milliarden Euro im EU-Haushalt. Auf Deutschland kommen höhere Nettobeiträge zu, wenn es nach dem Willen der EU-Kommission geht. Ist das gerechtfertigt?

Ferber: Wenn man sich auf einen geordneten Brexit einigen kann, wird das Vereinigte Königreich auch künftig an einigen EU-Programmen, etwa beim Studentenaustausch oder bei der Forschungsförderung, teilnehmen und natürlich auch entsprechend in den EU-Haushalt einzahlen. Insofern werden nicht die kompletten Beiträge des Vereinigten Königreichs fehlen. Was die Höhe der deutschen Beiträge zum EU-Haushalt angeht, warne ich davor, nur auf die absoluten Zahlen zu schauen. Es kommt schließlich auch darauf an, was die EU mit diesem Geld macht, ob sich daraus ein Mehrwert ergibt und ob dadurch vielleicht auch Mittel im Bundeshaushalt eingespart werden können. Wenn die Prioritäten stimmen, können auch höhere Nettobeiträge Sinn machen.

BDV: In wenigen Wochen wählen die Europäer ihr neues Parlament. Warum ist das ein wichtiges Datum?

Ferber: Es gilt bei den Europawahlen eine Richtungsentscheidung über die Zukunft unseres Kontinents zu treffen. Entweder setzen sich die Links- und Rechtspopulisten durch, die die EU wieder rückabwickeln wollen und gefährlichen nationalistischen Ideen Vorschub leisten. Wer die Ereignisse im Vereinigten Königreich verfolgt, erkennt schnell, dass dieser Weg nicht zum Erfolg führt. Alternativ steht die Vision für ein bürgernahes, handlungsfähiges Europa, das sich in einer sich stetig ändernden Welt behaupten kann. Für eine solche Europäische Union trete ich ein.

BDV: Welches sind die drei großen Herausforderungen, die in naher Zukunft gelöst werden müssen, damit die Menschen wieder Vertrauen in die Institutionen fassen?

Ferber: Ich glaube, die EU muss vor allem bei den großen Themen liefern. Wir müssen beispielsweise überzeugende Antworten darauf finden, wie wir mit dem Thema Migration umgehen, wie wir unsere Bürger gegen grenzüberschreitende Kriminalität und Terrorismus schützen und wie wir die Voraussetzungen für Wachstum und Wohlstand schaffen. Wenn die EU bei diesen großen Themen erfolgreich ist, schafft das das notwendige Vertrauen.

BDV: Benötigen wir Eurobonds und einen eigenen EU-Finanzminister, wie es zum Beispiel Frankreichs Präsident Macron vorschwebt? Welche Reformen in der Eurozone könnten Sie sich vorstelle?

Ferber: Nein, die brauchen wir nicht. Bei der Debatte um die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion reden wir viel zu viel über neue Institutionen, Geldtöpfe und Risikovergemeinschaftung. Dabei haben wir bereits einen ausreichend robusten institutionellen Rahmen in der Wirtschafts- und Währungsunion. Das Hauptproblem besteht darin, dass das bestehende Regelwerk derzeit nicht oder nur unzureichend vollzogen wird. Wenn beispielsweise der Stabilitäts- und Wachstumspakt vernünftig durchgesetzt werden würde, wäre das die beste Absicherung gegen neue Schuldenkrisen. Das sollte unsere Priorität sein.

BDV: Die Türkei entfernt sich immer mehr von europäischen Werten. Was bedeutet diese Entwicklung für die Beitrittsgespräche mit Ankara?

Ferber: Die Türkei hat sich inzwischen meilenweit von der EU entfernt. Ich werbe deshalb seit langem dafür, dass wir ehrlich mit uns selbst und mit der Türkei sind und die Beitrittsgespräche mit der Türkei auch formal beenden. Eine enge Partnerschaft mit der Türkei ist im Interesse der EU – aber eben nicht als Vollmitglied.

BDV: Welche anderen Länder sehen Sie mittelfristig in der Europäischen Union?

Ferber: Keine. Wir haben mit der EU-Osterweiterung 2004 und der Aufnahme von Bulgarien, Rumänien und Kroatien eine ganze Reihe von Staaten in die EU aufgenommen. Bei einigen habe ich heute Zweifel, ob das nicht verfrüht war. Deswegen bin ich sehr dafür, dass wir nun zunächst einmal auf Konsolidierung setzen, bevor wir über weitere Erweiterungsrunden sprechen.

BDV: Die Branche der Finanzdienstleistungen leidet unter immer weitergehenden Regulierungen. Wäre es nicht einmal Zeit, hier Stopp zu sagen und die bisherigen Maßnahmen auf ihre Berechtigung und Wirksamkeit zu überprüfen?

Ferber: Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise gab es eine regelrechte Regulierungswelle, bei der an einigen Stellen auch über das Ziel hinausgeschossen wurde. An einigen Stellen wurde auch schon nachgebessert: etwa bei der Überarbeitung der Eigenkapitalrichtlinie CRD IV, bei der ein deutlich stärkerer Fokus auf Verhältnismäßigkeit gelegt wurde. Ähnliches gilt für die Überarbeitung des aufsichtsrechtlichen Rahmens für Wertpapierfirmen, die darauf zielt, insbesondere für kleine Wertpapierfirmen ein leichteres Aufsichtsregime zu schaffen. Ich bin sehr dafür, diesen Weg fortzusetzen, denn es gibt noch einige Baustellen. Das Basisinformationsblatt aus der PRIIPS-Verordnung ist beispielsweise vollkommen unbrauchbar und bedarf dringender Überarbeitung. Das muss in der neuen Legislaturperiode dringend angegangen werden.