Alterssicherung in Deutschland im Angesicht des demografischen Wandels – das gehört zu den Mega-Themen, denen sich die Ampelkoalition in Berlin in den kommenden vier Jahren widmen muss. Im Zentrum dieser Mammutaufgabe steht das Finanzministerium, das sich die FDP im Rahmen der Koalitionsverhandlungen sichern konnte. Der neue Minister ist FDP-Chef Christian Lindner. Alles, was im Ministerium zu gesetzlicher Rente und Privater Altersvorsorge entschieden wird, steht auch unter genauer Beobachtung und Bewertung der eigenen Fraktion. Zu den großen Linien der Rentenpolitik, aber auch zu spannenden Details haben wir ein Interview geführt mit Pascal Kober (50), dem arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Sprecher der liberalen Bundestagsabgeordneten. Der 50jährige Theologe und stellvertretende Landesvorsitzende der FDP Baden-Württemberg wurde 2009 erstmals in den Bundestag gewählt und gehört ihm seit dem Wiedereinzug der FDP im Jahr 2017 wieder an.
BDV: Die Bundesregierung ist neu sortiert und aufgestellt. Das Finanzministerium ist FDP-geführt. Welche Aufgaben und Herausforderungen müssen dort in den kommenden vier Jahren gelöst werden? Welche Aufgaben kommen auf Sie persönlich zu?
Kober: Das Finanzministerium wird den digitalen Wandel ermöglichen und private und öffentliche Investitionen vorantreiben. Wir stehen dabei für einen verantwortungsvollen Ausgleich zwischen dem enormen Finanzbedarf, der durch die Herausforderungen, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur in Deutschland besteht und der genauso dringlichen Notwendigkeit, die jungen Generationen nicht über Gebühr zu belasten. Die Begrenzung der Verschuldung ist dabei eine Frage, die nicht Deutschland allein, sondern ganz Europa betrifft. Persönlich werde ich die Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales meiner Fraktion leiten, die alle Gesetzgebungsverfahren aus dem Bereich Arbeit und Soziales inhaltlich begleitet.
BDV: Schon in den vergangenen Jahren war die FDP ein wichtiger Ansprechpartner der Versicherungs- und Vermittlerbranche. Angesichts der Probleme in der gesetzlichen Rentenkasse nehmen unsere Anliegen noch an Bedeutung zu. Haben Sie weiter ein offenes Ohr für uns?
Kober: Es war uns immer wichtig, auch die Argumente der Versicherungs- und Vermittlerbranche zu hören und sich fachlich auszutauschen. Ihre Erfahrungen und Expertisen sind für unsere Arbeit wertvoll. Das bleibt so.
BDV: Experten kritisieren, dass die Ampelkoalition die Probleme in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht angefasst hat. Es bleibt beim Renteneintrittsalter, beim Rentenniveau, bei der Begrenzung des Beitragssatzes. Wie soll das funktionieren angesichts des demografischen Wandels?
Kober: Wir haben wegweisende Maßnahmen für alle Säulen der Alterssicherung vereinbart. Um beispielsweise die gesetzliche Rente generationengerecht abzusichern, werden wir den Nachholfaktor wieder aktivieren, und wir werden vor allem zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. Die umlagefinanzierte Rente wollen wir weiterhin durch die Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie durch erwerbsbezogene und qualifizierte Einwanderung stärken. Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und werden hierzu auch in den Ausbau der Kinderbetreuung investieren. Wir wollen dafür sorgen, dass die Erwerbsbeteiligung von Älteren steigt, indem wir Prävention und Rehabilitation stärken und indem wir die Zuverdienstmöglichkeiten im Alter verbessern.
BDV: Der Ansturm auf die Rentenkasse ist sehr präzise vorhersehbar. Somit steigt die Bedeutung der privaten Altersvorsorge. Wie wird die Politik, wie wird die FDP dieser wachsenden Aufgabe gerecht?
Kober: Wir werden das bisherige System der privaten Altersvorsorge grundlegend reformieren, dazu wird es die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester geben. Auch werden wir einen öffentlich verantworteten Fonds mit Abwahlmöglichkeit für weitere private Vorsorgeprodukte prüfen.
BDV: Im Focus der kommenden Jahre stehen auch Riester-Verträge. Gut ist, es besteht ein Bestandsschutz, schlecht ist, dass das Auslaufen der staatlichen Zulagen droht. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Kober: Ein Ende der staatlichen Zulagen für die private Altersvorsorge steht nicht auf der Agenda. Im Gegenteil wollen wir vermehrt Anreize für untere Einkommensgruppen bieten, diese Produkte in Anspruch zu nehmen. Riester wollen wir im Bereich der Beantragung und Verwaltung vereinfachen. Prüfen wollen wir auch, inwieweit Anlageformen mit höheren Renditemöglichkeiten ermöglicht werden können.
BDV: Durch eine Absenkung der Bruttobeitragsgarantie auf 80% könnte die Riester-Rente zumindest bis zum Inkrafttreten angestrebter Reformen bzw. der Einführung neuer Produkte in der privaten Altersvorsorge weiterhin angeboten werden. Sehen Sie hier Möglichkeiten – oder soll es bis auf weiteres zu einem Stillstand in der privaten Altersvorsorge kommen?
Kober: Wie gesagt, wir setzen uns für höhere Renditen bei der Riester-Rente ein, wie stark hierfür die Bruttobeitragsgarantie gesenkt werden kann und muss, werden wir prüfen.
BDV: Nach dem Vorbild Schwedens soll ein Staatsfonds aufgebaut werden, der sein Kapital auch in Aktien investiert. Das klingt innovativ, doch ausgerechnet aus Steuermitteln sollen dem Fonds Milliarden zu fließen. Das klingt wieder nach Schulden, die wir kommenden Generationen aufbürden. Irren wir?
Kober: Mit dem Kapitalstock von zehn Mrd. Euro steigen wir in eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung ein, um einen Fonds erstmals zu etablieren. Damit ist aber keine Festlegung auf grundsätzliche und langfristige Ausgestaltung der Finanzierung getroffen. Der Koalitionsvertrag lässt offen, ob ähnlich dem schwedischen Modell, zukünftig eine Finanzierung über einen Teil der Beiträge verfolgt werden wird. Wir hielten dies für sinnvoll und nachhaltig und werden es im politischen Prozess so vertreten.
BDV: Die Regierung verspricht im Koalitionsvertrag einen ordentlichen Bürokratieabbau für die Wirtschaft. Auf was dürfen zum Beispiel selbstständige Versicherungsvermittler hoffen?
Kober: Wir werden einen Praxischeck zur Überprüfung des bürokratischen Aufwands von Gesetzen und Regelungen entwickeln, der eine regelmäßige Einbeziehung der Betroffenen vorsieht. Wir werden prüfen, inwiefern wir den bürokratischen Aufwand für und durch die rein elektronische Aufbewahrung von Belegen und Geschäftsunterlagen verringern können. Wir werden die Steuerbürokratie spürbar verringern, beispielsweise durch höhere Schwellenwerte und volldigitalisierte Verfahren. Wir werden eine Evaluation der Wirksamkeit von Finanzregulierung im Hinblick auf Proportionalität und Bürokratie vornehmen.